Ausgabe 3/2021, Juli

WIdO-Themen

Klimawandel: Extremtemperaturen gefährden die Gesundheit

Jeder vierte AOK-Versicherte über 65 Jahre ist überdurchschnittlich gefährdet, an heißen Tagen gesundheitliche Probleme zu bekommen und ins Krankenhaus zu müssen. Das zeigt eine Studie zu hitzebedingten Krankenhauseinweisungen des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC).

Der aktuelle Versorgungs-Report „Klima und Gesundheit“ belegt, wie stark der Klimawandel die Gesundheit beeinträchtigt. Eine im Report veröffentlichte Analyse demonstriert: Ein Viertel der älteren Bevölkerung ist besonders gefährdet, an Hitzetagen ins Krankenhaus zu müssen. Ein Hitzetag mit über 30 Grad Celsius führt im Durchschnitt am gleichen Tag zu 40 zusätzlichen Klinikeinweisungen je eine Million Einwohner in der Bevölkerung ab 65 Jahren. Bei den am stärksten gefährdeten Personen sind es sogar 550 zusätzliche Klinikeinweisungen. Die Studienautoren betonen, dass es sich dabei um eine konservative Schätzung aller hitzebedingten Klinikeinweisungen handelt, da solche Einweisungen auch an Folgetagen auftreten und anhaltende Hitzeperioden den Effekt verstärken können. Eine Risikokarte für Deutschland zeigt für das Hitzejahr 2018 große regionale Unterschiede. Hotspots mit einer überdurchschnittlich hohen Anzahl hitzebedingter Krankenhauseinweisungen sind vor allem entlang zweier geografischer Bänder zu erkennen: vom Weser-Ems-Gebiet zur Niederlausitz und vom Rhein-Main-Gebiet nach Niederbayern. Doch auch die nördlichen Regionen Deutschlands, die heute weniger betroffen sind, könnten zukünftig deutliche Veränderungen erleben. Die Studie prognostiziert für Deutschland bis zum Jahr 2100 eine Versechsfachung der Zahl der hitzebedingten Klinikeinweisungen, wenn die Erderwärmung ungebremst voranschreitet.

Ein weiteres zentrales Ergebnis der Studie: Individuelle Risikofaktoren, die eine Krankenhauseinweisung im Zusammenhang mit Hitze wahrscheinlicher machen, sind Demenz und Alzheimer, aber auch Niereninsuffizienz, Depression, Diabetes oder chronische Atemwegserkrankungen. Zudem leben gefährdete Versicherte verstärkt in ländlichen Regionen mit mehr Altersarmut, in denen wenige Pflegebedürftige ambulant oder stationär versorgt werden. Basis für die Studie waren die Abrechnungsdaten aller Krankenhausbehandlungen von AOK-Versicherten in den Jahren 2008 bis 2018, die mit umfassenden Wetter- und Luftverschmutzungsdaten sowie weiteren soziostrukturellen Daten in Beziehung gesetzt wurden.

Der aktuelle Versorgungs-Report gibt in 16 Fachbeiträgen einen Überblick über die globale Bedeutung des Klimawandels für die Gesundheit und über dessen Auswirkungen und Herausforderungen für die medizinische Versorgung in Deutschland. Thema sind die daraus resultierenden Gesundheitsbelastungen und der sich ergebende Handlungsbedarf – auf struktureller und organisatorischer Ebene des Gesundheitswesens und auf der Ebene des individuellen Verhaltens.

Caroline Schmuker ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsbereich Qualitäts- und Versorgungsforschung und Mitherausgeberin des Versorgungs-Reports

„Die zunehmenden Extremtemperaturen sind eine wachsende Herausforderung für die Gesundheit und erfordern verstärkt Maßnahmen im Bereich der Prävention und des Gesundheitsschutzes.“

Caroline Schmuker ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsbereich Qualitäts- und Versorgungsforschung und Mitherausgeberin des Versorgungs-Reports

Pflege in der Pandemie: Weniger soziale Teilhabe in der ersten Corona-Welle

Eine Online-Befragung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) hat untersucht, wie Pflege- und Bezugspersonen die Situation in der ambulanten und stationären Pflege empfunden haben. Dabei zeigt sich: Sowohl zwischen den Versorgungsarten als auch in der Gruppe der Pflegebedürftigen nahmen die Befragten Verschlechterungen wahr. Das gilt für die pflegerische und ärztliche Versorgung ebenso wie für die soziale Teilhabe.

Die Maßnahmen, die in der ersten Welle der Covid-19-Pandemie erlassen wurden, um die Infektionszahlen zu senken, trafen pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen besonders. Das bestätigt eine Befragung von rund 1.000 Haushalten für den Pflege-Report 2021 „Bedarfslagen und Angebotsstrukturen“. Im ambulanten Versorgungsbereich nutzte demnach ein Großteil der Haushalte wichtige Unterstützungsleistungen, sowohl professioneller als auch informeller Art, nur noch eingeschränkt. Zudem haben sich die psychische Gesundheit, die geistige Fitness und die Lebensqualität der pflegebedürftigen Menschen den Befragten zufolge verschlechtert.

Für Pflegebedürftige im stationären Versorgungsbereich ging die erste Pandemie-Welle mit besonders starken Einschränkungen der sozialen Teilhabe einher. Ein Großteil der Betroffenen konnte weder die Pflegeeinrichtung noch das eigene Zimmer verlassen, und Kontakte zu den Bezugspersonen waren nicht möglich. Hier sah rund ein Drittel der befragten Personen zusätzlich Verschlechterungen in der Gesundheitsversorgung der Bewohnerinnen und Bewohner. Diese schlug sich zusammen mit der sozialen Isolation in einer ausgeprägten Verschlechterung des Zustands der pflegebedürftigen Menschen nieder, so die Wahrnehmung der Bezugspersonen.

Gleichzeitig zeigten sich auch bei den Bezugspersonen der vollstationär Pflegebedürftigen hohe Belastungswerte. Zwei von drei befragten Personen gaben an, dass sie sich häufiger hilflos fühlten als vor der Pandemie. Außerdem sagte jede dritte Bezugsperson – im ambulanten Bereich nur jede fünfte –, dass die Pflegesituation nicht gut zu bewältigen gewesen sei (siehe Abbildung). Das verweist auf die hohe emotionale Belastung, die die erheblichen Kontaktbeschränkungen mit sich brachten.

Insgesamt zeichnet die Befragung für die erste Pandemie-Welle ein kritisches Versorgungsbild der ohnehin vulnerablen Bevölkerungsgruppe. Maßnahmen, die die pflegebedürftigen Menschen vor einer Ansteckung mit Covid-19 schützen sollten, führten gleichermaßen zu erheblichen Einschnitten in der Versorgung, zu einer starken sozialen Isolation und zu einer Zunahme psychischer Belastungen. Das spricht dafür, die Bedarfslagen der Pflegebedürftigen und ihr Umfeld in Pandemiekonzepten künftig stärker zu berücksichtigen.

Die Corona-Krise hat die Probleme, die in der Pflege bereits seit Jahren existieren, sichtbarer gemacht denn je. Daher beschäftigt sich der Pflege-Report 2021 neben bestimmten Aspekten der Pandemie auch generell mit den spezifischen Bedarfslagen pflegebedürftiger Menschen sowie mit bestehenden Angebotsstrukturen für einzelne Teilgruppen. Er zeigt dabei auch Potenziale auf, durch deren Nutzung sich gute Pflege nach der Covid-19-Pandemie gewährleisten lässt.

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Analysen – Schwerpunkt: Bundestagswahl 2021

Regulierungsperspektiven für die Gesundheitsversorgung in Deutschland

Ingo Bode, Institut für Sozialwesen, Universität Kassel

Aktuell diskutierte Herausforderungen an die Regulierung der Gesundheitsversorgung in Deutschland stehen im Mittelpunkt dieses Beitrags. Hintergrund ist eine Verunsicherung bislang hegemonialer Ordnungskonzepte, auch in der jüngeren Gesundheitspolitik. Die Analyse erfolgt aus dem Blickwinkel der politischen Soziologie und umreißt beispielhaft Debatten zum Steuerungsmix im Versorgungssystem, besonders mit Bezug auf Tendenzen institutioneller Vermarktlichung und durch sie hervorgerufene Irritationen. Sie mündet in eine kurze Einschätzung zu möglicherweise pfadbrechenden Reformen nach der Bundestagswahl.

Regionale Versorgungsgestaltung: keine Standardisierung für unterschiedliche Probleme

Robert Paquet, Berlin

Regionale Versorgungsgestaltung ist in aller Munde. Dabei sind jedoch viele Fragen offen: Was wird unter Region verstanden? Welche Probleme sollen in den Regionen besser gelöst werden als bisher oder andernorts? Wer sollen die entscheidenden Akteure sein? Welche Konsequenzen ergeben sich für das Finanzierungssystem? Am weitesten ausgearbeitet ist ein Konzept zu „Gesundheitsregionen“ von Bündnis 90/Die Grünen. In der Auseinandersetzung damit zeigt sich, was geht und was nicht. Selektivverträge können regionale Versorgungsaufgaben gezielt ansteuern. Bei bestimmten Rahmenbedingungen sind wettbewerbliche Lösungen sinnvoll.

Perspektiven für die GKV-Finanzierung

Stefan Greß und Christian Jesberger, Fachbereich Pflege und Gesundheit, Hochschule Fulda

Die Zeit der Überschüsse in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist auf absehbare Zeit vorbei. Der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz kann im Jahr 2021 nur durch einen ergänzenden steuerfinanzierten Bundeszuschuss und einen gesetzlich verordneten Vermögensabbau bei den Krankenkassen einigermaßen stabil gehalten werden. Ursächlich für diese Finanzierungslücke sind einerseits pandemiebedingte Einnahmenrückgänge und andererseits Maßnahmen des Gesetzgebers in den vergangenen beiden Legislaturperioden. Die Prognosen über die weitere Einnahmen- und Ausgabenentwicklung sind unsicher. Selbst bei günstigem Verlauf der Pandemie ist aber nicht mit einer substanziellen Verbesserung der Finanzlage der GKV zu rechnen. Die neue Bundesregierung steht daher in der Pflicht, die Finanzlage der GKV mittel- bis langfristig zu konsolidieren. Auf der Einnahmenseite ist eine weitere Erhöhung des Bundeszuschusses nicht alternativlos. Auf der Ausgabenseite zeichnet sich eine Renaissance der Kostendämpfungspolitik ab.